Samstag, 15. Dezember 2007

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ein strammer Bursche, der kleine Pit


Diese Entwicklung kümmerte mich aber nur wenig, im Mutterleib wuchs ich so recht und schlecht heran und brachte es immerhin zu stattlichen 2600 gr. Lebendgewicht bei meiner Geburt im März des Jahres 1946.
Auch die nun folgenden großen Hungerjahre bis 1949 kannte ich auch nur aus dem Dunkel der Erzählungen meiner Großmutter und Tante, bei denen ich aufwuchs.
Ich kann mich noch an solche Worte erinnern wie „Kohldampf“, Essen auch Zotelsuppe oder Brotsuppe genannt (Zotelsuppe war ein Gemisch aus Wasser und geriebenen Kartoffeln verfeinert mit einem Klecks Margarine, wenn es gerade welche gab), an „Hamstern“, Beschaffung von Lebensmitteln durch betteln beim Bauern oder Plündern von Feldern und besonders aber, an den Garten meines Großvaters mit den herrlichen gelben Eierpflaumen, die so zuckersüß schmeckten.
Unsere Familienverhältnisse in der damaligen Zeit waren denkbar einfach, meine Großmutter und Tante, die mir zu Hause die Eltern ersetzten, denn meine Mutter arbeitete in der Wismut bei den Russen im Erzbergbau.
Wenn einmal ein Zug fuhr kam sie auch mal am Wochenende nach Hause. Einen Vater kannte ich nicht. Mein Großvater hatte nach dem Krieg die Familie verlassen und wohnte in Annenberg. Die Tante absolvierte eine Ausbildung zur Kindergärtnerin im Nachbarort, sie sah man auch höchst selten zu Hause. Und so blieb alles an meiner Großmutter hängen. Sie war der gute Geist des Hauses, der sich um das Ganze allein kümmern musste. Tagsüber, wenn ich im Kindergarten spielte, jobbte Sie im ehemaligen Rittergut in einer Schweinemastanlage und Abends bekochte sie und wusch mich, und wenn sie nicht all zu müde war, las sie mir aus einen sehr alten und abgegriffenen Märchenbuch die Geschichten der Gebrüder Grimm vor.
Die Entwicklung unseres Dorfes war geprägt vom Braunkohleabbau und deren Verarbeitung. D.h. Während der eine Teil des Dorfes durch den Tagebau dezimiert wurde, verstromte man im anderen Teil die abgebaute Kohle und verarbeitete sie zu Briketts. Außerdem hatten wir in unseren Dorf neben einer Brauerei, einer Schmiede, auch einen Konsum, ein großes Gasthaus mit angeschlossenen Sportplatz und Kegelbahn und eine regelmäßige Busverbindung in die nahegelegene Kreisstadt.
Das ganze Oberdorf mit Grundschule, Kirche, Kindergarten und Friedhof wurde unmittelbar nach meiner Einschulung 1952 „verkohlt“, fiel also der Braunkohle zum Opfer.
Die Sorge um das tägliche Stück Brot in jenen Tagen, der Dreh- und Angelpunkt des Kampfes um das menschliche Dasein eine Herausforderung für meine Großmutter. Eine Geschichte ist mir noch heute gegenwärtig -
Meine liebste Beschäftigung zu Hause in jener Zeit bei meiner Großmutter, das Spielen mit einer großen Kiste voller bunter Knöpfe und das Stöbern in einer alten abgegriffenen braunen Aktenmappe mit wichtigen familiären Dokumenten. Jedes mal, wenn ich ein Dokument herauszog, erzählte mir Oma eine Geschichte, die in unmittelbaren Zusammenhang mit Ihrer Entwicklung stand.
Eines Tages fand ich dort einen Geldschein, ganze zwei Mark, schon neues Geld, das sie irgendwann zurückgelegt und vergessen hatte. „Komm mein Kleiner“, sagte sie, „wir gehen etwas schönes für dich einkaufen“, und sie kaufte für mich in der neu eröffneten HO ein Ei, für ganze 2,- Mark, und bereitete es sogleich mir zum Abendbrot.

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