Donnerstag, 20. Dezember 2007

Umzug nach....

Mitte 1955 kam dann der große Umzug in die Stadt Annenberg, unsere Familie, das waren meine Eltern, meine Tante und Ihr Mann, meine Großmutter und ich zogen in zwei nigel-nagel neue Zweizimmer Neubauwohnungen in einer Etage auf den Lerchenberg.
Das Leben musste für die gesamte Familie neu organisiert werden. Obwohl in der ganzen Häuserzeile, alles Neubauten, fast das halbe Dorf angesiedelt wurde, also viele alte Freunde, wie wir alle „Braunkohleopfer“, mit ein gestädtet wurden, galt es auch das Kinderleben neu zu organisieren. Die Schule spielte dabei das kleinste Übel keine Rolle, denn wir waren ja allerhand gewöhnt. Alles war Neu für uns Jungs vom Dorfe, angefangen von der Sprache - hier wurde mehr „Hochdeutsch“ gesprochen nicht „Bauerntratsch“ -, Zurchau hatte und hat noch heute einen eigenen Dialekt, der für Außenstehende schwer verständlich ist, jeder erkannte sogleich woher wir kamen, bis hin zu den neu zu erschließenden Spielmöglichkeiten.
Wir fanden als sozusagen zugezogene Dorftrampel sehr schnell heraus, wo unsere Stärke liegt, eine neue straff organisierte Bande musste etabliert werden um gegen die „Gefahren“ der Großstadt zu bestehen. Das Gelände wo wir wohnten war hierfür ideal.
Hinter unserem Haus eine aufgelöste ehemalige Gartenanlage, die in den nächsten Jahren noch bebaut werden musste , die Stadtgrenze mit Stadtwald, ein ideales Terrain zum rumstrolchen, inklusive einer akzeptablen Allee mit Kirschbäumen , wo wir unsere diesbezüglichen Bedürfnisse umfangreich befriedigen konnten bis hin zu den noch zu erforschenden Möglichkeiten der Stadt. Und deren gab es deren Viele.
Da gab es noch den Schlosspark mit seinen unterirdischen Gängen, die vor Jahrhunderten durch die Klosterbrüder und im Auftrage des alten Herzogs angelegt wurden und stellenweise noch heute existieren, die blaue Flut, ein Flüsschen, dass die Stadt noch heute unterirdisch durchquert, den Aussichtsturm oben im Wald, der damals unbedingt bestiegen werden musste obwohl es verboten ist, das Wolfenholz mit seiner Höhle, die Russenkaserne mit ihren zwei Schießplätzen, das Gelände der ehemaligen HASAG, einer früheren Munitionsfabrik mit ihren unterirdischen Werkhallen, wo wir uns mit Schwarzpulver aus alter Munition eindeckten, die noch zu Massen herumlag. Es gab viel zu entdecken und zu erforschen in Annenberg, da reichte die Zeit oftmals nicht aus, denn Hausaufgaben, schulisches Lernen und häusliche Pflichten, die noch so nebenbei anstanden mussten ja auch noch erledigt werden. Wir hatten es sehr schwer alles so auf die Reihe zu bekommen. Hinzukam, das unsere Eltern für unsere Eskapaden wenig Verständnis erbrachten, zumindest meine. Aber sie wussten Gott sei Dank ja kaum etwas von dem, was wir so trieben.
Wir bauten in der ehemaligen Gartenanlage unsere Burgen und Höhlen, die wir erfolgreich gegen andere Straßengangs verteidigten, bastelten uns kleine Bomben aus Schwarzpulver, die mächtig knallten als wir diese mit selbstgebauten Katapults gegen unsere Angreifer schleuderten, Rauchten schon mal wie Robinson mit einer selbstgebastelten Pfeife getrocknetes Laub. Im Großen und Ganzen haben wir uns schnell eingelebt. Meine Eltern waren beide berufstätig, sie hatten somit wenig Zeit um sich mit mir zu beschäftigen, es war alles optimal.
Ein beliebtes Spielzeug der damaligen Zeit waren für uns alles was knallte und rummste, es war sehr schwer den notwendigen Nachschub zu organisieren und so entwickelte sich schon in recht früher Kindheit in mir die Vorliebe für alles was so praktische Chemie war. Mit ein wenig Phantasie und Einfallsreichtum war da so allerhand zu machen. Meine Spezialstrecke waren z.B. Knaller aus Löschpapier mit aufgelösten Unkraut-ex. Diese fabrizierte ich in der Wohnung meiner Eltern. Die Löschblätter wurden mit in Wasser aufgelösten Unkraut-ex getränkt und auf Zeitungspapier getrocknet. Mit Hilfe von alten Zwirnsrollen aus Pappe und einer kleinen Lunte konnten da erstaunliche Dinge hergestellt werden. Da ich ja nun als sparsamer Mensch erzogen wurde, hatte ich immer das gleiche Zeitungspapier benutzt und es anschließend immer an das unterste Ende des Zeitungsstapels abgelegt. Irgendwann musste meiner Mutter das Feuermachen nicht so richtig geglückt sein, denn sie hatte sozusagen die falsche Zeitung erwischt.... na ja, als sich der Rauch nach der Stichflamme, die beim Anzünden aus den Ofen hervorschoss, verzogen hatte, fehlten ihr am Kopfe ein paar Haare und sie war sehr erschrocken, dass das „Zeitungspapier“ so gut brennen konnte. Ich aber wusste natürlich von nichts.
Zu meinen Pflichten gehörte besonders an den Monatsenden das Einkaufen, da half nichts und es gab keinen Weg um mich davon zu Drücken. Das Geld war nämlich alle und mit einen Zettel in der einen Hand, den notwendigen Lebensmittelkarten in der anderen, und der Bemerkung Mutter bezahlt am Ersten , blieb unserer Krämerfrau kaum noch eine Alternative. Bei uns reichte das wenige Geld weder vorn noch hinten um die notwendigsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen.
Großmutter war wegen eines schweren Magenleidens frühzeitig berentet worden, und ging nachmittags zu besser betuchten Leuten putzen. Das Geld, was sie sich zu ihren 90 Mark Rente hinzuverdiente investierte sie meist in ihren Enkel. Ihre große Leidenschaft war das Kaffeetrinken, nach beendeter Arbeit, kaufte Sie meist 1/8 Kaffee für 1,25 Mark und ein wenig Kuchen meist eine halbe Mohnrolle für 1,60 Mark und lud nur mich zum Kaffeetrinken ein, das war für sie immer wie eine kleine Messe. So wurde so nach und nach aus mir eine kleine Kaffeetante. Wenn in der Stadt auf dem Anger der Rummel oder Zirkus stattfand, verzichtete sie sogar auf ihr geliebtes Kaffeetrinken und gab mir ihre letzten paar Märker hierfür.
Ihre zweite große Leidenschaft war das Bücherlesen, sie war in der Bibliothek der eifrigste Leser. Auch verstand sie es immer besser mein Interesse für ihr Hobby zu erwecken, denn in den Bücherstapel mit welchem sie aus der Bücherei zurückkam, hatte sie auch immer etwas Interessantes für mich dabei. Die Liebe zu Büchern ist noch heute meine große Leidenschaft, die ich in erster Linie Ihr zu verdanken habe.
Noch eine dritte Leidenschaft verdanke ich meiner Kindheit. Den Grundstein hierfür legte meine Tante. Sie lebte mit ihren Mann in der guten Stube unserer Wohnung. Großmutter und ich belegten die Schlafstube. An wetterbedingten Abenden und an den Wochenenden war das Kartenspiel als die Hauptunterhaltung groß im Kommen. Während zusammen mit der Omi Doppelkopf gespielt wurde, auch eine ihrer Interessen, da spielte sie manchmal noch im Traum die Dulle aus, bevorzugten meine Tante und mein Onkel das Skatspiel. So wurde ich schon recht frühzeitig zum Skatfreak erzogen und zwar mit allen Raffinessen, immer unter den Motto ein Bewohner einer Skatstadt muss auch Skatspieler sein. So konnte ich schon mit
11 Jahren einen gepflegten Skat spielen, so richtig wie ein Alter.
Besonderen Spaß hat mir das Spielen mit meinen Eltern gemacht. Hierbei vermochte ich mich so richtig an meinen Stiefvater zu rächen. Mit Vorliebe habe ich oftmals so falsch gespielt, dass er nur noch verlieren konnte. Er war jedoch kein guter Verlierer, noch dazu weil ich mir ein hämisches Grinsen selten verkneifen konnte, na ja ein guter Skatspieler muss auch mauern können.
Gerechterweise muss jedoch gesagt werden, dass er außer seiner maßlosen Brutalität auch noch gute Seiten hatte die sich zugleich prägend auf meine Entwicklung auswirkten. So spielte er hervorragend Ziehharmonika. Bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten griff er zur Quetschkommode spielte und sang mit allen gemeinsam so schöne Stimmungs- und Volkslieder, und alles ohne Noten, eben so aus den Bauch. Ich versuchte es natürlich auch, aber es gelang mir nicht meine Hände zu koordinieren. Entweder ich bekam den Bass gut auf die Reihe, oder die Melodie – beides Zusammen schaffte ich nie – ich hab’s dann aufgegeben. Kurt so hieß mein Stiefvater, hatte noch eine zweite künstlerische Ader. Für ein geringes Entgeld malte er für meine Begriffe hervorragende Ölgemälde. Vom Inhalt her zwar nur abgekupferte Postkarten von Bergen, Hirschen, Wäldern und Seen, dies war damals gerade in Mode, auch mal Blumen, je nach dem was der Kunde so wünscht, aber für was Eigenes, Schöpferisches, da langte es nicht, dazu fehlte ihn die Phantasie. Aber immerhin, es inspirierte mich kolossal und führte dazu, dass das Malen und Zeichnen zu meinen Lieblingsfächern wurden. Das ging sogar so weit, dass ich zwei durch Krankheit unvollendet gebliebene Auftragsbilder beendete und sie an seine Kunden jedoch mit meinen Signum, dass ich mir extra dafür ausdachte, auslieferte.
Unser Verhältnis besserte sich erst dann, als sich das familiäre Kräfteverhältnis zu meinen Gunsten veränderte, als ich größer und stärker wurde.

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